Hinter den Schlagzeilen und diplomatischen Manövern, die suggerieren, der Sicherheitsrat stehe nun auf der Seite Marokkos, verbirgt sich eine komplexere Realität. Diese fußt weiterhin auf genau dem Recht, das Rabat seit Jahrzehnten zu untergraben versucht: dem Recht auf Selbstbestimmung.
Foto: In den 1990er Jahren identifizierte die UNO die Wähler, die am UN-Referendum teilnehmen sollten, das Marokko später blockierte. Das Register wird in Genf aufbewahrt – ebenso wie in den Flüchtlingslagern, wo dieses Foto aufgenommen wurde. @UNPhoto/Evan Schneider
Die jüngste Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Friedensmission in der Westsahara, Resolution 2797, hat in diesem Jahr ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen – vor allem wegen ihres Verweises auf den „Autonomievorschlag Marokkos” als mögliche Grundlage für neue Gespräche. Einige internationale Medien haben dies als diplomatischen Sieg für Marokko dargestellt oder sogar als Zeichen dafür, dass die UNO sich von der Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts des sahrauischen Volkes abgewandt hat.
Diese Darstellung hält jedoch einer genaueren Prüfung nicht stand.
Was die Resolution sagt – und was sie nicht sagt
Die Ende Oktober 2025 verabschiedete Resolution 2797 gibt das langjährige Ziel der UNO, eine politische Lösung zu erreichen, die die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara vorsieht, nicht auf.
Das Dokument wurde noch nicht auf die Website der UNO hochgeladen, kann aber hier heruntergeladen werden.
Der Text besagt, dass der Sicherheitsrat die Parteien auffordert,
„diese Gespräche auf der Grundlage des Autonomievorschlags Marokkos ohne Vorbedingungen aufzunehmen, um eine endgültige und für beide Seiten annehmbare politische Lösung herbeizuführen, die die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara vorsieht ...“
Mit anderen Worten: Die Selbstbestimmung bleibt das Leitprinzip. Der Rat nutzt ein sorgfältige Wortwahl – vielleicht sogar bewusst. Er befürwortet weder die Souveränität Marokkos über die Westsahara, noch schließt er die Unabhängigkeit als mögliches Ergebnis aus. Wie Rechtswissenschaftler:innen herausgestellt haben, kann die Resolution 2797 nicht so verstanden werden, dass sie die zwingende Norm (jus cogens) der Selbstbestimmung außer Kraft setzt.
Dennoch befindet sich die UNO nun in einer schwierigen Lage. Indem der Sicherheitsrat ausdrücklich auf den Autonomievorschlag Marokkos Bezug nimmt, ohne gleichermaßen auf die Position der Sahrauis einzugehen, läuft er Gefahr, den Eindruck einer impliziten Anerkennung der marokkanischen Kontrolle zu erwecken – was im Widerspruch zum Völkerrecht, zur UN-Charta und zur bisherigen Praxis der UNO stünde.
„Wenn die UNO beginnt, de facto-Besatzungen im Namen des ‚Prakmatismus‘ zu akzeptieren, würde dies einen beunruhigenden Präzedenzfall schaffen: Sind wir bereit, territoriale Konflikte außerhalb des völkerrechtlichen Rahmens beizulegen?“, fragt Sylvia Valentin, Vorsitzende von Western Sahara Resource Watch.
Gleichzeitig könnte die ausdrückliche Bezugnahme auf Marokkos Autonomieplan Druck auf Rabat ausüben, endlich offenzulegen, was dieser Plan tatsächlich beinhaltet. Obwohl er seit 2007 beworben wird, wurde der Autonomievorschlag nie in detaillierten rechtlichen oder institutionellen Begriffen vorgestellt. Marokko begann erstmals Anfang der 2000er Jahre, von einem Autonomieplan zu sprechen. Die dem Sicherheitsrat 2007 vorgelegten Punkte waren mindestens vier Jahre lang vorbereitet worden. In seiner Unterrichtung des Sicherheitsrats im vergangenen Jahr forderte der derzeitige persönliche Gesandte des UN-Generalsekretärs für die Westsahara, Staffan de Mistura, Rabat nachdrücklich auf, zu erläutern, wie der Plan „eine glaubwürdige und würdige Form der Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara ermöglichen würde und unter welchen Modalitäten“. Bis heute hat Marokko keine solche Klarstellung vorgelegt. Am 10. November 2025 kündigte das marokkanische königliche Kabinett Konsultationen an, um „die von Marokko im Rahmen seiner Souveränität und territorialen Integrität vorgeschlagene Autonomieinitiative zu verfeinern”.
Es sei auch daran erinnert, dass die Frente POLISARIO 2007 einen eigenen Vorschlag zur Lösung des Konflikts vorgelegt hat, der alle Optionen offen ließ, von der Unabhängigkeit bis zur Integration in Marokko, über die durch einen echten Akt der Selbstbestimmung per Referendum entschieden werden sollte. Zum ersten Mal fehlt diese Position in den Erklärungen des Sicherheitsrats, obwohl der sahrauische Präsident kürzlich erneut bekräftigt hat, dass die POLISARIO bereit ist, bedingungslose Verhandlungen im Einklang mit dem Völkerrecht aufzunehmen.
Der Text der Resolution wurde unter der Führung der USA entworfen und ausgehandelt. Präsident Donald Trump, der 2020 in einem Tweet seine Anerkennung des haltlosen Anspruchs Marokkos auf die Westsahara bekannt gab, hat in den letzten Monaten eine Offensive zur „Lösung“ des Konflikts bis zum Jahresende vorangetrieben. Dies kann als Teil einer umfassenderen Initiative im Zusammenhang mit den Abraham-Accords und seinem Streben nach dem Friedensnobelpreis gesehen werden.
Kritik vom ehemaligen UN-Gesandten
Der UN-Gesandte für die Westsahara, Christopher Ross, hat die Resolution scharf kritisiert und sie als „Rückschritt“ bezeichnet, der die neutrale Haltung der UNO schwächt. In einem kürzlich erschienenen Gastbeitrag argumentiert Ross, dass die Resolution 2797 das Gleichgewicht untergräbt, das frühere UN-Texte zwischen dem Vorschlag Marokkos und dem der sahrauischen Seite zu wahren versuchten.
Laut Ross birgt die neue Betonung des Autonomieplans in der Resolution die Gefahr, „eine Partei gegenüber der anderen zu bevorzugen” und die Glaubwürdigkeit des UN-Prozesses zu gefährden. Er warnt davor, dass diese Verschiebung die Fähigkeit des Rates, als unparteiischer Vermittler zu agieren, untergraben und Marokko ermutigen könnte, seine Besatzung weiter zu festigen.
Ross, der von 2009 bis 2017 als persönlicher Gesandter des UN-Generalsekretärs für die Westsahara tätig war, erinnert daran, dass Selbstbestimmung – und nicht Autonomie – nach wie vor die rechtliche und moralische Grundlage für das Engagement der UNO in diesem Gebiet bildet.
Natürliche Ressourcen und wirtschaftliche Ausgrenzung
Im Vorfeld der UN-Resolution hatte der jüngste Bericht des UN-Generalsekretärs zur Westsahara (S/2025/612) eine wichtige Dimension beleuchtet, die in der Berichterstattung über die Resolution oft übersehen wird: die anhaltende Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara und die wirtschaftliche Marginalisierung des sahrauischen Volkes.
In Absatz 73 des Berichts wird auf anhaltende Bedenken hinsichtlich des ungleichen Zugangs zu Beschäftigung und Ressourcen in dem Gebiet hingewiesen. In früheren Absätzen wird auch an die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) erinnert, in denen festgestellt wurde, dass die Handels- und Fischereiabkommen der EU mit Marokko das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes verletzen, indem sie die Westsahara ohne dessen Zustimmung als Teil Marokkos behandeln. In Absatz 71 wird darauf hingewiesen, dass Mandatsträger der Sonderverfahren der Vereinten Nationen eine Mitteilung an Marokko geschickt haben, in der sie „Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Küstenentwicklungsprojekten, die mit großflächigem Landerwerb, der Zerstörung von Privateigentum und Vertreibungen einhergehen“, anführen.
Diese Passagen unterstreichen, dass selbst nach Einschätzung der Vereinten Nationen die wirtschaftlichen Aktivitäten in dem Gebiet nach wie vor eng mit seinem ungelösten politischen Status verbunden sind und dass die Sahrauis weiterhin von Entscheidungen über ihr Land und ihre Ressourcen ausgeschlossen sind.
Ein Rückschlag, aber nicht das Ende
Die Resolution 2797 stellt zwar einen diplomatischen Erfolg für Marokko dar, ist aber nicht das Ende der Geschichte für die Westsahara. Der Rahmen der UNO beruht nach wie vor auf dem Prinzip der Selbstbestimmung, und keine Resolution des Sicherheitsrats kann diese rechtliche Grundlage aushebeln.
Die Herausforderung besteht nun darin, sicherzustellen, dass die UNO und ihre Mitgliedstaaten nicht zulassen, dass politische Opportunität das Völkerrecht untergräbt. Das Recht des sahrauischen Volkes, über seine eigene Zukunft zu entscheiden, bleibt unberührt – auch wenn es vorübergehend durch die Sprache des „Prakmatismus” und des „Kompromisses” überschattet wird.
Abstimmungsdynamik und Kontext
Die UN-Resolution 2797, mit der das Mandat der UN-Friedensmission in der Westsahara (MINURSO) um ein Jahr verlängert wird, wurde mit 11 Ja-Stimmen, 3 Enthaltungen (China, Pakistan und Russland – alle kritisierten die Unausgewogenheit des Textes bzw. die Nichtbeachtung des Selbstbestimmungsrechts) und einem Mitglied, das nicht die Teilnahme an der Abstimmung ablehnt (Algerien), angenommen.
Mehrere Mitglieder, die dafür gestimmt hatten, präzisierten anschließend ihre Position. Der Vertreter der Republik Korea erklärte, der Text dürfe nicht so interpretiert werden, dass er das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Parteien vorwegnehme, Slowenien betonte, dass die Gespräche „auf Augenhöhe stattfinden und die Positionen und Vorschläge aller Parteien berücksichtigen“ müssten, während Guyana hervorhob, dass eine Lösung „die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara gewährleisten“ müsse.
Die MINURSO wurde durch die Resolution 690 (1991) des Sicherheitsrats eingerichtet, nachdem Marokko und die Frente POLISARIO die 1988 von der UNO und der Organisation für Afrikanische Einheit vorgelegten Lösungsvorschläge angenommen hatten. Die Vorschläge sahen eine Übergangsphase vor, an deren Ende ein Referendum stattfinden sollte, in dem das Volk der Westsahara zwischen Unabhängigkeit und Integration in Marokko wählen sollte. Dieses Referendum – das seitdem von Marokko blockiert wird – bleibt das unerfüllte Versprechen im Zentrum des Friedensprozesses der Vereinten Nationen in der Westsahara.
Da Sie schon einmal hier sind...
Die Recherchen von WSRW werden mehr denn je gelesen und genutzt. Unsere Arbeit ist zum überwiegenden Teil ehrenamtlich, sie erfordert Zeit, Hingabe und Sorgfalt. Aber wir tun sie, weil wir glauben, dass sie wichtig ist - und wir hoffen, dass Sie das auch tun. Mit einer kleinen monatlichen Unterstützung können Sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Zukunft von WSRW zu sichern und dafür sorgen, dass wir weiterhin unseren komplett unabhängigen Recherchen nachgehen können.
Eine regelmäßige Spende können Sie hier einrichten. Vielen Dank!
WSRW fordert die UN-Mitgliedstaaten auf, die Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara durch Marokko bei der UPR-Überprüfung Marokkos im November zur Sprache zu bringen.